2006/11/12

Musiktherapie gegen Sprachlosigkeit (Aphasie)

Die Musiktherapeutin Jennifer Zantopp befaßt sich intensiv mit demenzkranken und sprachlosen Menschen. Die in Holland (Saxion Hogeschool Enschede) ausgebildete Musiktherapeutin arbeitet im psychogeriatrischen Bereich.

Bereits in Ihrer Diplomarbeit befasste sich Jennifer Zantopp mit Musiktherapie in der Frühphase der Rehabilitation von schweren globalen Aphasien.

Dort beschreibt die Autorin den Einsatz der qualitativen Forschungsmethode Improvisationsanalyse in der musikalischen Interaktion.

Jennifer Zantopp bemerkt, dass sie sich lange damit auseinander gesetzt habe, ob musikalische Improvisation als eine Art „Sprache“ aufgefaßt werden kann.

In Ihrer Diplom-Arbeit geht es darum, ob aktive Musiktherapie als psychotherapeutische Begleitung zur Krankheitsverarbeitung in der Frührehablitation bei schweren globalen Aphasikern eingesetzt werden kann.

Hier beantwortet die Autorin zunächst wichtige Fragen zum Krankheitsbild der Aphasie, deren Erscheinungsformen und zum Entstehungszusammenhang der Erkrankung.

Dabei zeigt Jennifer Zantopp auf, dass Aphasie eine Störung der inneren Sprache, nicht aber des Verstandes ist. Auch psychologische und sozialen Folgen der Aphasie werden dort aufgezeigt.

Da eine musiktherapeutisch-psychotherapeutische Behandlung die Kommunikationsfähigkeit der Klienten voraussetzt, stellt sich die Autorin der Frage der Indikation einer solchen Behandlung bei Vorliegen einer schweren globalen Aphasie:

Wenn bei Verlust der sprachlich-verbalen Kommunikationsfähigkeit (die sogenannte digitale Kommunikation) der Patient noch über eine nonverbale (analoge) Kommunikationsfähigkeit verfüge, sei auch eine musiktherapeutisch-psychotherapeutisch Behandlung angezeigt.

Musiktherapie verfüge über nonverbale Methoden, verstehe sich auf analoge Kommunikation und könne sich einer besonders wichtigen Aufgabe in der frühen Rehabiliation stellen: Hier müsse vor allem auch eine adäquate Kommunikationsform für den Aphasiker gefunden werden.

Zu ihren psychotherapeutischen Zielsetzungen zählt auch Jennifer Zantopp:

- die Suche nach einer solchen Kommunikationsform,
- der Aufbau einer stabilen Beziehung,
- die Begleitung in der emotionalen und sozialen Entwicklung und
- das Wiedererlangen von Vertrauen in die Umgebung und in die eigenen Fähigkeiten

In ihrer aktiven Musiktherapie greift Jennifer Zantopp auch auf die von Bruscia (1987) beschriebene therapeutische improvisatorische Techniken zurück, sie betont die therapeutische Arbeit mit der freien Improvisation.

Da es für Jennifer Zantopp von Bedeutung ist, wie wir kommunizieren, verwendet sie Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaft, zum Verständnis der Verarbeitung von Musik und Sprache im Gehirn.

Die Bedeutung der Diagnostik wird von Jennifer Zantopp in Ihrer rehabilitativen musiktherapeutischen Arbeit nicht unterschätzt.

Doch seien noch nicht alle neurologischen Mechanismen bei der Verarbeitung von Musik und Sprache erschlossen. Dieses Gebiet bleibt also trotz der bereits bestehenden Erkenntnisse auch weiterhin für die Forschung interessant.

Jennifer Zantopp zeigt Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Sprache auf. So läßt sich hier wie dort nach Takt, Akzenten und Melodiekontur suchen und auch Tempounterschiede liefern in den Improvisationen wertvolle Informationen.

Die besonderen Beobachtungskriterien für die Analyse der therapeutischen Improvisation sind in der Arbeit tabellarisch aufgezeichnet. Denn Jennifer Zantopp ging es auch darum zu klären, ob auch Außenstehende eine Interaktion zwischen Musiktherapeutin und dem globalem Aphasiker beobachten können.

Die Improvisationsanalysen erfolgten in Anlehnung an nach Bruscia

(aus der Literaturliste der Arbeit: Bruscia, K.E. (1987) Improvisational Models of Music Therapy. Charles C.; Springfield: Thomas Publishers)

und unter Einsatz von Videoaufzeichnungen. Vier Improvisationen wurden analysiert.

Bei den Analysen konnte ein gemeinsames Tempo und Metrum, eine ähnliche Phasenlänge, und ein ähnliches Energieniveau beobachtet werden. Darüber hinaus wurden zueinander passende melodische und rhythmische Elemente beobachtet und Regeln in der Interaktion zwischen Therapeutin und Patientin wurden erkennbar.

Letztlich konnte Jennifer Zantopp die wechselseitige Beeinflussung von Therapeutin und Patientin aufzeigen.

Die Musiktherapeutin betont übrigens, dass der Akzeptanz des Spielpartners und dessen Verhaltens eine wichtige Voraussetzung für die Interaktion ist.

Jennifer Zantopp verzichtet in Ihrer Forschungsarbeit nicht auf die kritische Betrachtung ihrer Forschungsmethode und zeigt methodische Schwierigkeiten auf.

Von Interesse für die weitere Forschung und Entwicklung ist nach Jennifer Zantopp noch eine vertiefte Auseinandersetzung der Frage notwendig:

Welchen Effekt hat der Einsatz frühzeitiger Musiktherapie für die Folgen von Aphasie?

In ihren Schlussfolgerungen erläutert Jennifer Zantopp, dass musikalische Kommunikation im Gegensatz zu verbaler Kommunikation mit einem Aphasiker gleichwertiger verlaufen kann:

Bei einer musikalischen Improvisation kann der Anteil des Aphasikers an der Kommunikation leichter erhöht werden, als bei einem verbalen Gespräch. Die Musik kann dem Therapeuten dabei helfen, einfacher auf die Schwierigkeiten des Aphasikers einzugehen.

In diesem Zusammenhang weist die Therapeutin darauf hin, dass ein Aphasiker für eine adäquate Reaktion mehr Zeit benötigt, als ein gesunder Mensch. Der Einsatz von Musik ermöglicht es, dieser Einschränkung besser gerecht zu werden, denn Musik kann auch wenn ihr Tempo herabgesetzt wird immer noch natürlich klingen.

Durch eine Anpassung des zeitlichen Anteils an der Kommunikation könne sich aber auch die Rollenverteilung deutlich ändern und der Patient auch besser aus einer ’untertänigen’ Rolle herausgeführt werden.

Jennifer Zantopp kommt zu dem Schluß:

... dass aktive Musiktherapie, im besonderen die freie Improvisation auf Instrumenten, in der Frührehabilitation bei schweren globalen Aphasien sinnvoll als psychotherapeutische Begleitung bei der Krankheitsverarbeitung in der Frührehabilitation eingesetzt werden kann.
Krankheitsverarbeitung betrifft in dieser Betrachtung vor allem die Suche nach einer neuen Identität, wobei eine stabile Beziehung und ein geeignetes Interaktionsmedium Voraussetzung dafür sind.
Aphasiker sind in der Lage, eine musikalische Interaktion mit dem Therapeuten einzugehen und in dieser Ziele zu erreichen, die als psychotherapeutisch bezeichnet werden können.“
(Zantopp, 2002, 57)

Der Besuch der Internetseite von Jennifer Zantopp ist lohnenswert für die Auseinandersetzung mit der musiktherapeutischen-psychotherapeutischen Arbeit von Jennifer Zantopp. Nicht zuletzt stellt die Autorin dort auch Ihre Diplom-Arbeit zum download bereit.

Quelle:
Jennifer Zantopp (2002) Sprachlos …für immer? Musiktherapie als Krankheitsverarbeitung in der Frühphase der Rehablitation von schweren globalen Aphasien. Diplomarbeit im Rahmen des Studienganges Musiktherapie an der Saxion Hogeschool Enschede. http://www.zantopp.de/jennifer/diplomarbeit/index.html

Keine Kommentare:

 
blogoscoop