2013/07/26


YOU ARE A GHOST VOL.II: Rezension zur Inszenierung 
     
IN TRANSIT 
Oder: Nun sag’, wie hast du’s mit der … Kunst? Ein absurd komischer Abend zwischen Boulevard Theater und Performance Kunst.  


Probe im alten Gerresheimer Bahnhof: Fivos Theodosakis und Lars Bechstein


Der Erste schweigt. 
Die Zweite redet gleich für Zwei. 
Die Dritte lässt ihren Körper sprechen. 
Der Vierte theoretisiert in doppelter Geschwindigkeit. 
Der Rest ist Musik und sagt mehr als tausend Worte. 

Draußen Rauschen die Züge vorbei, der Raum vibriert. Das Bahnhofsgeschehen ist dem Raum noch eingeschrieben. Er ist zwar lange keine Bahnhofshalle mehr, aber die Wartenden kann man immer noch vor sich sehen. Sie warten auf den nächsten Anschluss, sie befinden sich in Transit. Zwischen nicht mehr und noch nicht. Der Ort hat seine eigene Materialität, nicht nur seiner Vergangenheit wegen.
Die Wände sind weiß verputzt, sie wirken kalt, Bahnhöfe sind Un-Orte, ihre Zeit ist eine andere, ein flüchtiges Kommen und Gehen, kein Bleiben,keine festgefahrenen Strukturen, höchstens ein temporärer Aufenthalt, ein Hängenbleiben im Genuss der Regel- und Sinnlosigkeit.
Der perfekte Ort, um sich mit sich selbst und dem Status quo auseinanderzusetzen und Gedankenräume zu etablieren in denen alles möglich sein darf. Einen Zustand testen, der dem Nullpunkt nahe kommt und in dem alle Regeln für einen kurzen Augenblick außer Kraft gesetzt sind.
Baumgartner und Rüdiger schaffen den Raum, sie lassen vier atmosphärische Bild/Szenen entstehen, die jede für sich selbst steht und aus der Leichtigkeit des Transitären gehoben wird und in ihrer Ernsthaftigkeit die Notwendigkeit thematisiert. Ihr Thema: sie selbst - und das unausweichliche Weitermachen. Was bedeutet heutzutage Kunst zu studieren? Wo Kunst – und gerade in Düsseldorf – einen wichtigen Stellenwert einnimmt und vor allem Wert generiert. Galerien, Mäzene,Markt, Wirtschaft, Wert, Kunst als Ware. Spätestens seit Beuys weiß man, ein Jeder ist Künstler. Also warum dann noch studieren?
Es ist ein Stück über die Krise. Die Krise einer Generation (Y, wie sie mittlerweile genannt wird), die Strategien testet, wie man in einem krisenzerrütteten System überlebt,… nein, Spaß hat,… auch nicht, eher schafft, über längeren Zeitraum zufrieden zu sein und sich nicht ständig von einer geistigen Krise in die nächste (dann vielleicht finanzielle) zu stürzen.

Sebastian Mejia "theoretisiert in doppelter Geschwindigkeit",
im Hintergrund die vierköpfige Band


An diesem Abend haben sich nun mehrere Kunststudierende und Kulturschaffende zusammengefunden, ihren ganz persönlichen transitären Status zu reflektieren und künstlerisch umzusetzen. Songs und Szenen,scheinbar isolierte Einzelarbeiten, greifen ineinander und bilden ein sinnliches Konglomerat, welches einlädt zum Assoziieren. Gleichberechtigt stehen hier verschiedene Kunstformen nebeneinander, jede bekommt ihren Raum, sie scheinen miteinander zu kommunizieren und sich zu kommentieren und aufzufangen. Ein Balanceakt. Insbesondere erweist sich die musikalische Ebene - die Band, die sich auf der Bühne befindet - als Art Sicherheitsnetz, das die Performer und auch die Szenen immer wieder im Schutz des Klangteppichs weich auffängt. Es gehört eben auch Mut dazu, auszusteigen, etwas aufzubrechen, und die Zeit anzuhalten. Das trifft gleichermaßen auf die jeweiligen Inhalte und Performances zu als auch auf das Gesamtprojekt.


Fivos Theodosakis eröffnet den Abend, nachdem sich die Band eingespielt hat. Der junge Grieche hat in seinen 8 Minuten genau 2 Aktionen. Er raucht und streicht eine der Bahnhofswände mit Wasser an – als würde er sich an die Arbeit machen. Kunst als Arbeit. (Arbeit ist Kunst.)
Wenn Theodosakis die weiße kalkartige Wand streicht, könnte man sein Heimatland assoziieren. Und hier ist sie wieder: die Krise. Man erwischt sich, wie man an Gastarbeiter denkt. Im Laufe des Abends nimmt Theodosakis die Rolle des Laufburschen ein: Er räumt den Anderen ihre Utensilien hinterher, bereitet Material vor, nimmt den Staubsauger in die Hand oder ist einfach nur da. Ein Balljunge, oder gar Regie-Assistent, der seine Aufgaben pragmatisch erfüllt. Derjenige, den man immer irgendwohin stellen darf, weil er das am Besten kann: einfach nur er selbst sein. Kein Posing. Keine Maskierung. Er ist vor allem Projektionsfläche. Mal steht er gottgleich mit Heiligenschein als griechische Statur an der Wand, mal ist er Verflossener, mal Geliebter, mal Concierge, der durch den Abend führt. Das hat eine ordentliche Portion Humor und Selbstironie.
Das Spannende: In „seiner“ Szene, die den Abend eröffnet, und er die freie Wahl hat, was er in seinen 8 Minuten macht, ergo keinen klare Anweisungen folgt, setzt er sich an einen Tisch, zündet sich eine Zigarette an und bewahrt Stillschweigen über alles. Er kommentiert nicht, er arbeitet nicht, sondern er denkt. Seine Blicke suggerieren rhythmische Gedankenblitze. Die Stille breitet sich im Raum aus, die Zeit ist entschleunigt. Theodosakis kommt zur Ruhe und nimmt uns mit. Er nimmt sich den Raum, um in der Zeit, die ihm zusteht, nichts zu verrichten, sondern eine Zigarettenlänge lang Gedanken entstehen zu lassen – bei ihm und bei uns. Für einen Moment steht alles still und nur der Zug, der an diesem Vakuum aus Gedanken und Weile, in dem wir sitzen, vorbeirauscht, holt uns irgendwo in der Zukunft wieder ein.


Nach diesem Stillstand wirkt die Video-Live-Performance von Tanja Ritterbex wie eine gewaltige Flut aus Zitaten, Medien, Stimmen, bunten Farben. Sie tritt auf mit Albert Heijn, Shop-Blog und Abramovic und präsentiert sich gleich in zweifacher Ausführung. Ihr zweites knallbuntes Ich, eine Kunstfigur, die man aus der Akademie kennt, wird auf die hintere Wand projiziert. Eine Holländerin aus dem Bilderbuch, mit lecker Milch von lecker Kühen. Sie bedient Klischees und wickelt das Publikum um den Finger. Nicht denken, sondern amüsieren bitte. Die Live-Tanja hingegen fängt an sich selbst zu massakrieren – und hat sichtlich ihren Spaß. Sie macht es des Publikums wegen, der Außenwirkung, die ihr durchaus bewusst ist. Sie baut Bilder einer Tanja auf, die ein Kunstprodukt geworden ist. Sie sucht den Schmerz, braucht ihn um Weiterzumachen, bis sie zum Schluss – erniedrigt durch ihr Alter Ego – ihren Tisch mit all den Schminkutensilien wie eine Schildkröte davonträgt. Nur ist es kein Schutzschild, sondern eine Last. Kunst als Leben. (Leben ist Kunst.)


"Die Band als Sicherheitsnetz für die Performer" Lucius Nowothnig, Anna-Lena Meisenberg, Lars Bechstein, Moritz Holler (v.l.n.r.)



Ein verbindendes Element an dem Abend ist neben der Musik die Materialität. Das Weiß und der Kalk des Raumes finden sich auf der Bühne wieder: weißer Gips mit Wasser zu einer formbaren Masse gemischt, die griechische Statur als anzustrebendes Ideal, eine staubige Wolke aus Mehl und – immer wieder kehrend – das Pinseln und Streichen als Reminiszenz der künstlerischen Heimat der Performer. Tanja bepinselt ihr Gesicht mit Wassermalfarbe, Phaedra malt mit Wasser eine weinende Wolke an die weiße Wand, Sebastian übt sich als Skulpteur, indem er Gips auf der Wand verteilt und Fivos streicht die Wand mit Wasser an. Wasser auf weißem Stein. Ein vergängliches Bild. Die Nässe verschwindet, am Ende der Vorstellung ist nichts mehr davon zu sehen. War das ein vorsichtiger Anfang eines möglichen Neuanfangs; ein Testen, ob das der richtige Weg ist? Oder ist es gar das Flüchtige einer jeden Kunst? Oder die Angst vor Neuem, vor Endgültigem, die Angst Entscheidungen zu fällen.


Die Fragen des Gesamtkunstwerkes werden hier nicht gestellt und beantworten sich höchstens in der Selbstdarstellung der Kunst. So unterschiedlich Kunst sein kann und an der Kunstakademie auch behandelt wird.

Anna-Lena Meisenberg und Lucius Nowothnig bei den musikalischen Proben



Stellt sich also nur noch die Frage, wo ist der Geist … So wie die Reisenden damals hier auf ihren Zug oder den nächsten Anschluss gewartet haben, warten die Studenten auf die nächste Chance, auf den nächsten klaren Gedanken, den Anschluss ans Leben. Befinden wir uns nicht auf ständiger Reise? Sind Künstler nicht auch Künstler, weil sie auf ständiger Suche sind, um eben genau nicht anzukommen, zur Ruhe zu kommen. Flexibel im Denken, aus verschiedenen Perspektiven den Weg, der zurückgelegt wurde und der vor einem liegt zu betrachten und stets zu hinterfragen. Wir wollen im tiefsten Innern den Zug verpassen und nicht wissen, wie es weitergeht. Denn das Leben – oder der perfekte Lebenslauf – scheint vorprogrammiert und die Möglichkeiten sind da. Umbruch? Neuanfang? Einen Zug in die verkehrte Richtung? Geisterhafte Welt, in der man viel fantasiert und drüber philosophiert, aber nicht in der Lage ist, es zu tun.


Künstlerische Leitung:
KENNY RÜDIGER & MARIUS BAUMGARTNER


Bericht:
MARIE MILBACHER 

Fotos:
GERD FIERUS

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